Franz Baumann - unser Mann bei der UNO

Veröffentlicht am 19.12.2009 in Ortsverein
 

Franz Baumann mit Tochter Hannah unnd Kofi Annan sowie dessen Frau Nane.

Schramberg/New York. Der Schramberger Sozialdemokrat Franz Baumann (56) ist bei der UNO von Generalsekretär Ban Ki-moon im Mai 2009 zum Beigeordneten Generalsekretär ernannt worden. Mirko Witkowski hat mit ihm über seine Ziele und Aufgaben gesprochen. In der aktuellen Ausgabe von "Unser Blättle" ist aus Platzgründen nur ein Teil des Interviews abgedruckt. An dieser Stelle veröffentlichen wir das komplette Interview.

Du hast beruflich eine sehr steile Karriere gemacht. Bitte blicke doch mal für jene, die Dich nicht so gut kennen, zurück, wie sich alles entwickelt hat. Wann und wo bist Du geboren, wo bist Du zur Schule gegangen, wo und was hast Du studiert?
Ich wurde 1953 in Schramberg geboren und wuchs an der Steige auf. Meine Eltern betrieben die Bäckerei Baumann, die seit fünf Generationen in Familienhand war. Nach vier Jahren Berneckschule und anschließend Gymnasium Schramberg studierte ich in Konstanz Verwaltungswissenschaften (Schwerpunkt: Internationales), in Bristol (England) Kunstgeschichte und promovierte in Ottawa (Kanada) über Entwicklungspolitik in Afrika.

Wie bist Du zur Politik und zur SPD gekommen?
Schon als Gymnasiast war ich politisch interessiert und aktiv. Ich erinnere mich an Lesungen mit Werner Klank, Herbert Zinell, Gernot Stähle und anderen in der Nippenburg an Samstagnachmittagen: Texte von Karl Marx und Urs Jaeggis Macht und Herrschaft in der BRD sind mir in Erinnerung. Als Schülersprecher des Gymnasiums verkaufte ich den Roten Schülerkalender und mit einigen anderen gab ich eine Ausgabe der Camera heraus, die wir nicht in der Schule verkaufen durften, weil sie zu radikal war. In der Anlage vor dem Gymnasium fand sie reissenden Absatz. Pfarrer Salewski stellte uns das "Martin-Luther-Haus" als Redaktionsraum zur Verfügung und Hans Hekler, der von dem Produkt sicher eher wenig angetan war, unterstützte uns trotzdem als Vertrauenslehrer. Er versuchte nicht uns zu beeinflussen, was ich ihm bis heute als Zeichen großer Liberalität hoch anrechne. Gedruckt, besser gesagt vervielfältigt, wurde das Heft auf der Juso-Abzugsmaschine, die in einem Keller beim Schwimmbad stand. Ansonsten wurde dort Der Sozialist hergestellt, aber es gab wohl Überkapazität. Zur SPD kam ich weil ich glaubte (und es noch tue), dass die soziale Marktwirtschaft eine gute Wirtschaftsform ist, diese aber nur funktioniert wenn der Staat (behutsam) steuert - auch mit Steuern - und Hoheitsfunktionen (Post, Bahn, Polizei, Erziehung) selber wahrnimmt, anstatt sie zu privatisieren. Die Volkspartei SPD ist für mich die vernünftige Mitte zwischen Marktradikalismus auf der einen und Staatsillusionismus auf der anderen Seite. Angebot und Nachfrage sind grobe und, sofern unkontrolliert, zerstörerische Kräfte. Aber ein Staat, der Autos baut, Fluglinien betreibt, Banken besitzt und alles & jedes politisch regelt ist auch nicht zukunftsfähig. Dazu kommt noch, dass die SPD in ihrer langen Geschichte immer für Anstand, Vernunft und internationalen Ausgleich stand. Die SPD ist also meine politische Heimat, trotz des seit Jahren bemerkenswerten Überschusses an Vorsitzenden und des bedauerlichen Schwundes an Wählern und Mitgliedern. Ich bin zuversichtlich, dass sich die Partei berappelt.

Was hat für Dich den Ausschlag gegeben, zur UNO zu gehen?
Mein Vater, für einen Bäckermeister sicherlich ungewöhnlich, interessierte sich leidenschaftlich für Sprachen und andere Länder. Unsere Familienurlaube - jeweils zwei Wochen während der Junghans Betriebsferien, weil wir die Kantine belieferten - waren immer in Italien, England, Frankreich, Spanien oder der französischen Schweiz. Neben dem Interesse an der großen, weiten Welt, war dann zugegebenermaßen auch noch der Wunsch, sogar der Anspruch, Gutes zu tun. Nicht zuletzt wegen der deutschen Vergangenheit war ich immer sehr patriotisch - politisch, kulturell, sprachlich - und bin es bis heute. Europa hat mich zuerst interessiert. Ich arbeitete sowohl beim Europäischen Parlament in Luxemburg als auch bei der Kommission in Brüssel. Aber dann orientierte ich mich um auf die UNO, einmal wegen meiner Faszination mit Afrika und zum anderen weil die großen Probleme der Welt zur UNO kommen, nicht zur EU, Weltbank, IMF, NATO, OAU, OAS oder sonstwem. Ich habe es nicht bereut.

Es ist doch sicherlich nicht ganz einfach, überhaupt zur UNO zu kommen. Wie hast Du es geschafft und wie war Dein bisheriger Weg in der Weltorganisation?
Als ich 1980 bei Siemens in München arbeitete bekam ich ein Angebot vom VN Entwicklungsprogramm nach Nigeria. Ich nahm es gerne an. 1983 gab es einen UNO Auswahlwettbewerb für Bundesdeutsche - Deutschland wurde erst von Willy Brandt 1973 in die Vereinten Nationen gebracht und war noch lange Zeit unterrerpäsentiert - den von ca. 800 Bewerbern acht bestanden. Ich war in vielen Abteilungen und arbeitete mit interessanten Kollegen und ausgezeichneten Vorgesetzten, selbst das schon ein großes Faszinosum. Irgendwie wurde Kofi Annan in den späten achtziger Jahren auf mich aufmerksam als er UNO Personalchef war. Als er 1993 Untergeneralsekretär der Hauptabteilung für Friedenserhaltende Operationen (DPKO) wurde, bestellte er mich zu seinem Verwaltungsleiter. 1997, in seinem ersten Jahr als Generalsekretär leitete er einen weitreichenden Reformprozess und nahm mich als einen von zwei Europäern in das Dutzend Leute auf, die die Konzepte ausarbeiteten und den Bericht schrieben, der meines Erachtens bis heute lesenswert ist (Renewing the United Nations: A Programme for Reform (A/51/950 vom 14.7.1997, anbei auf Deutsch Erneuerung der Vereinten Nationen: Ein Reformprogramm , falls ihn jemand nachlesen möchte). Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001, und auch weil wir wollten, dass unsere damals fast zweijährige Tochter Hannah zumindest einige Zeit in einerr deutschsprachigen Umgebung aufwachsen sollte, habe ich mich nach Wien beworben. Ich war dort sieben Jahre lang zunächst Verwaltungsdirektor und dann sowohl stellvertretender Generaldirektor des Wiener UNO Büros wie stellvertretender Exekutivdirektor des UNO Drogen- & Kriminalitätsbekämpfungsprogramms (UNODC). Im Jahre 2007 leitete ich dazu noch kommissarisch die UNO Weltraumabteilung.

Wie sieht Deine aktuelle Aufgabe bei der UNO aus?
"Vereinte Nationen" ist eine Fehlbezeichnung. Die Organisation besteht nicht aus Nationen, sondern aus Regierungen. Regierungen, die darüberhinaus nicht viel vereint, sondern deren unterschiedliche Interessenlagen Lösungen oft verzögern/verhindern, wenn nicht gar zu Konflikten führen. Die Welt harmoniert nicht und eine Vielzahl von Einzelinteressen summiert sich nicht schlüssig zum Gemeinwohl. Das Sekretariat der Vereinten Nationen, eines der Charta Organe, ist das eigentliche Herz des Multilateralismus. Die Diplomaten der verschiedenen Länder - im Moment sind es 192 - vertreten Nationalinteressen. Der Generalsekretär und sein Sekretariat haben einen weiteren Horizont. Ich bin leidenschaftlicher UNO Mann und möchte dazu beitragen, dass das Sekretariat so gut funktioniert wie nur möglich, denn oft werden größere Konflikte der "Bürokratie" zur Last gelegt und der Generalsekretär oder das Sekretariat zum Sündenbock gemacht, zum Beispiel wenn Darfur ein Krisenherd bleibt oder es beim Klimaschutz nicht vorangeht. Ban Ki-moon hat mich im Mai zum Beigeordneten Generalsekretär ernannt, um in einem zentralen Bereich der Organisation - der Hauptabteilung für Generalversammlungsangelegenheiten, mit über 2.000 Mitarbeitern die größte des Sekretariats - Reformen durchzusetzen. Und dies neben dem Tagesgeschäft, was daraus besteht, dass die Abteilung solide Arbeit leistet, z.B. monatlich über 3.000 Manuskriptseiten politischer, diplomatischer oder wissenschaftlicher Texte lupenrein korrekt in sechs Amtssprachen (Arabisch, Chinesisch, Englisch, Französisch, Russisch und Spanisch, einige auch auf Deutsch) herausbringt und, wie die Bundestagsverwaltung, den parlamentarischen Betrieb organisiert. Genau wie mir als Sozialdemokrat daran liegt, dass die nationale öffentliche Verwaltung einwandfrei funktioniert, unbürokratisch, flexibel & zuverlässig ist, also um dem Argument entgegenzuwirken nur das Profitstreben veranlasste Leistung und Effizienz, so sehe ich es als meine Berufung an, dass das UNO Sekretariat rund läuft.

Als leitender UNO-Mitarbeiter hast Du sicherlich einen anderen Blick auf die Weltpolitik, als die meisten von uns. Was sind Deiner Meinung nach die wichtigsten Probleme der Welt?
Der Problemkatalog ist gewaltig und bekannt: Kontrolle von Kernwaffen, Klima-, Umwelt- und Artenschutz, Energieversorgung, Nahrungssicherheit, Kindersterblichkeit und Bevölkerungswachstum, Frauen- und Kinderrechte, Bildung, Regulierung des Welthandels und der Finanzströme. Dazu kommt Korruption, Menschenhandel, Terrorismus, Piraterie, Nahost, Sudan, Zimbabwe, Pakistan, HIV/AIDS, Malaria, Kindersterblichkeit und vieles mehr.

Welche Chancen siehst Du für eine Lösung dieser Probleme?
Dem gefügelten Wort "Du hast keine Chance, aber nutze sie," steht die andere Wahrheit gegenüber, dass es nur Kinder oder Ideologen sind, die ernsthaft glauben, Probleme seien einfach zu lösen. Ich sehe keine Patentrezepte und finde es fad, die Welt in Gut (z.B. der Süden oder die Dritte Welt), oder Böse (z.B. der Norden oder die USA) einzuteilen. Tugend und Laster sind ziemlich gleichmäßig verteilt. In vielen Bereichen geht es vorwärts - mehr Menschen leben heute länger, gesünder und selbstbestimmter als jemals zuvor - in anderen nicht. Es gibt mehr Rechtssicherheit, und wer gegen Normen verstößt wird heute an ihnen gemessen. Das ist viel mehr als nichts. Wie Max Weber sagte: Politik ist das geduldige Bohren dicker Bretter. Und internationale Politik schon gar. Im Gegensatz zu früher weiß ich jetzt, dass es keinen Trumpf, keinen Heiland und keinen alternativen Weltentwurf gibt. Nur bessere und schlechtere Ansätze und vor allem, was viel wichtiger ist, zu wenige Leute, die sich mit Ernst und Audauer für ein Ziel einsetzen. Meine Sorge ist manchmal, dass die Probleme schneller wachsen als das Lösungen.

Welchen Beitrag können wir hierzu vor Ort in Schramberg leisten?
Sich engagieren, lokal und darüber hinaus. Was die Bäumers in Haiti machen ist sensationell. Die Integration von Ausländern ist mir wichtig, auch weil sonst die Talstadt verödet. Ich bedauere, dass so viele Geschäfte leer stehen und anderes, was so wichtig war für das Zusammenleben in der Stadt, z.B. das Schwimmbad, aufgegeben wurde. Als Sozialdemokrat tut es mir leid, dass größerer individueller Wohlstand mit schlechterem gesellschaftlichen Angebot einhergehen soll.

Mit weltweiten Militäreinsätzen haben viele von uns so ihre Schwierigkeiten. Mancher ist hin- und hergerissen, was denn nun richtig ist. Wie siehst Du militärische Einsätze?
Ich habe den Kriegsdienst verweigert, würde das heute aber nicht mehr tun. Eine Armee von Wehrpflichtigen - im Gegensatz zu einer Berufsarmee - kann man nicht so leicht in den Krieg schicken. Ich glaube nicht, dass die USA oder Großbritannien noch im Irak oder in Afghanistan wären - oder überhaupt so locker interveniert hätten - wenn alle Achtzehnjährigen zum Militär müssten. Ich bin kein Pazifist und halte Militäreinsätze von Demokratien nicht nur für richtig, sondern für unabdingbar, wenn sie auch oft genausoviele Probleme schaffen wie lösen. Aber die militärische Intervention Vietnams, um das Pol Pot Regime in Kampuchea zu vertreiben war richtig, der tanzanische Einmarsch in Uganda, um Idi Amins Schreckensherrschaft in Uganda zu beenden ebenso, auch die Militäraktion 1990 um Saddam Husseins Einmarsch in Kuwait rückgängig zu machen und 1999 der NATO Einsatz gegen Serbien und für Kosovo. Dass die Welt in Ruanda zugeschaut hat und in Darfur sich nur viertelherzig engagiert ist schändlich. Wie gesagt: die Welt harmoniert nicht, und oft sind militärische Interventionen notwendig, wenn auch nicht ausreichend. Stärkere militärische Signale der USA, Großbritanniens und Frankreichs hätten Hitler vielleicht stoppen können, aber die Regierungen waren zu schwach und die Linke zu illusionistisch. "Mourir pour Danzig?" wurde defätistisch gefragt, mit bekannten Folgen. In der UNO Charta ist deshalb nicht nur die Friedensbewahrung als kollektive Verantwortung verankert, sondern auch die militärische Friedensschaffung.

Was vermisst Du mit Blick auf Deine alte Heimatstadt am meisten?
In Schramberg verbrachte ich die ersten zwanzig Jahre meines Lebens und nun fast schon ebenso viele in New York. Ich wohnte - war aber nicht daheim - auch in Wien, Ottawa, Washington, Lagos, München, Brüssel, Luxemburg, Bristol und Konstanz. Es stört mich nicht, bin mir aber bewußt, dass ich nur in Schramberg kein Fremder bin. Ich freue mich, wenn ich Schrambergerisch reden höre und vermisse meine verstorbenen Eltern; ebenso unwiederbringlich, das Schramberg meiner Jugend. Die zehn Jahre von 1963 bis 1973 - Wirtschaftswunder, Studentenbewegung, SPD Regierung, Ostpolitik - sind mir auch in Schramberg als lebendig, dynamisch und spannend in Erinnerung. Eine gute Zeit.

Wie oft schafft Du es überhaupt, nach Schramberg zu kommen?
Meine Familie und ich kommen seit Jahren für ein paar Tage zur Fasnet nach Schramberg. Und dann noch, leider, zu Beerdigungen. Meine Frau ist kanadische Diplomatin - bis zum Herbst 2008 war sie Botschafterin bei der OSZE in Wien - und zwei so zentrifugale Berufe zu kombinieren läßt nicht viel Spielraum zum privaten Reisen. Wenn wir es auch nicht so oft nach Schramberg schaffen, so freuen wir uns immer über Besuch. Viele Schramberger waren bei uns in den verschiedenen Stationen. Und weil mir mein Freund Hans Haaser seit Jahren die Lokalseite des Schwarzwälder Boten sammelt und vierteljährlich schickt, habe ich noch immer einen Überblick, was passiert.

Was ist Dein wichtigstes Ziel in den kommenden Jahren?
Ich hoffe, mein Privat- und Berufsleben besser ausgleichen zu können.

 
 

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