Gedenken an die Opfer von Kriegen und Gewaltherrschaft

Veröffentlicht am 20.11.2012 in Gemeinderatsfraktion
 

OB-Stellvertreter Hans Jörg Fahrner.

Schramberg-Heiligenbronn. Vier Gedenkfeiern hat es am Volkstrauertag in der Gesamtstadt Schramberg gegeben. In Heiligenbronn wurde die Stadt durch OB-Stellvertreter Hans Jörg Fahrner vertreten. Hier seine Rede zum Volkstrauertag 2012 im Originaltext

Sehr geehrter Herr Pfarrer Werner,
ehrwürdige Schwesternschaft des Klosters,
sehr geehrte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stiftung St. Franziskus,
liebe Kirchengemeinde St. Gallus,
meine sehr geehrten Damen und Herren,

in diesen Novembertagen versammeln sich Angehörige, Freunde und Bekannte, die frisch gerichteten Gräber der Verstorbenen zu besuchen.

Grabmale sind Orte, die Leben und Trauer miteinander verbinden. Sie halten Erinnerungen wach.

Am Volkstrauertag gedenken wir der Opfer der Kriege und der Gewaltherrschaft.
Die Namen der Opfer sind uns eine bleibende Mahnung. Im Blick zurück bleibt die Trauer.
Gleichzeitig erwächst daraus die Verpflichtung unser heutiges Tun und Unterlassen zu hinterfragen.

In den Novembertagen 1918 ging der erste Weltkrieg zu Ende. Die Euphorie, mit der junge Menschen 1914 in den Krieg zogen, war längst verflogen. 2 Mio. deutsche Soldaten bezahlten mit ihrem Leben. Nahezu 10 Mio. Tote und Vermisste hat der 1.Weltkrieg gefordert. Sie alle wurden Opfer einer Politik, die nach Weltmacht strebte und im Krieg ihr Ziel sah:

Ausgelöscht, die Träume der Jugend,
ausgelöscht, die Hoffnung auf Heimkehr,
ausgelöscht, der Glaube an die Versprechungen der Verantwortlichen.

Chaos, Leid und Elend überschatteten den Zusammenbruch des Kaiserreichs. Dafür musste nun die Weimarer Demokratie die Verantwortung übernehmen.

In dieser Zeit gründete sich 1919 der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge. Mit einem vom ganzen Volk begangenen Trauertag sollte den Gefallenen ein ehrendes Gedenken „im Herzen des deutschen Volkes gesetzt werden.“

Vor Jahren unternahm ich mit meiner Familie eine Rundreise durch Frankreich. Auf dem Rückweg, von Reims über Metz, waren die Soldatenfriedhöfe entlang unserer Strecke nicht zu übersehen.

Französische, deutsche, englische, amerikanische, christliche und muslimische Soldatenfriedhöfe, mit nicht enden wollenden Reihen von Kriegsgräbern säumten den Weg bis wir in Verdun und Fort Douaumont ankamen.

Ein kalter Schauer überkam uns beim Anblick des ehemaligen Kriegsschauplatzes. Das Beinhaus lag vor uns. Die Gebeine von 130 000. nicht identifizierten Soldaten aller Nationen sind hier aufbewahrt.

Noch heute ist die Gegend von den Granattrichtern übersät. 700 000 Menschenleben wurden hier einer Kriegsmaschinerie geopfert, deren Irrsinn nur schwer zu begreifen ist.

Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge trägt durch seine Arbeit dazu bei, den Toten ihren Namen zurückzugeben und sie in Sammelfriedhöfe umzubetten. Er tritt über die Gräber hinweg für Verständigung und Aussöhnung ein.

Bei der Pflege und Einrichtung der Soldatenfriedhöfe sollen junge Menschen die Folgen des Krieges besser verstehen und erkennen, wie wichtig es ist, für den Frieden zu arbeiten.

Dieser Friedenswille traf in der Weimarer Republik auf eine breite Front der Ablehnung. Man sann auf Rache für den Friedensvertrag von Versailles.

Weite Teile des bürgerlichen Lagers bezeichneten diesen als Schanddiktat, und bezichtigten die unterzeichnende deutsche Regierung des Verrats.
Zusammen mit rechtsgerichteten- und nationalistischen Kreisen, Reichwehr und Freikorps, Rüstungsindustrie und einer Hetzpresse wurde der Boden für die folgende NS-Diktatur bereitet.

Dem rassistischen Gedankengut waren friedenswille und Toleranz fremd.

Der Volkstrauertag wurde zum Heldengedenktag umfunktioniert und der nationalsozialistischen Ideologie untergeordnet.

Die Gleichschaltung und Verfolgung Andersdenkender, die Entrechtung der jüdischen Bevölkerung sowie der Sinti und Roma, gingen mit den Verbrechen an Behinderten und Kranken einher.

Die Verfolgung und Verbrechen machten auch vor Heiligenbronn nicht halt. So finden wir die Verfolgung von Bischof Sproll in der dieser Tage fertiggestellten Festschrift zum 750-jährigen Bestehen von St. Valentin in Waldmössingen dokumentiert.

Die behinderten Menschen der Einrichtungen wurden als lebensunwert diffamiert und blieben von der sog. Euthanasie nicht verschont.

Mit Heiligenbronn sind auch die Sinti-Familien Pfisterer und Reinhardt verbunden. Ihr Schicksal hat Carsten Kohlmann in seinem Forschungsbericht mit dem Titel: „…am 15.03.1943 nach Auschwitz KZ-Lager“ aufgezeigt.

Als der im deutschen Namen begonnene 2.Weltkrieg endete, waren 55 Mio. Tote zu beklagen, zerstörte Städte, Verlust der Heimat, Not, Elend, Flucht und Vertreibung waren zur Realität für viele Menschen geworden.

Über 120 Mio. Menschen verloren weltweit in beiden Weltkriegen Leben und Gesundheit.
Unendliches Leid war die Folge. Denjenigen, die den Krieg als Soldat überlebt haben, waren ihrer Jugend beraubt. Für viele wurde das Erlebte zu einem Trauma, das sie nicht mehr losließ.

Mein Vater gehörte zu den Heimkehrern. Zeitlebens war der Krieg als Gesprächsthema in meiner Familie präsent. Seine Erfahrung hat sicherlich dazu beigetragen, dass ich den Kriegsdienst verweigert habe.

Und heute?
Heute verblassen die Erinnerungen an die Schrecken des Krieges. Der 1952 wieder in Leben gerufene Volkstrauertag spricht heute immer weniger Menschen an. Vor allem junge Menschen fehlen zunehmend bei den Trauerfeiern.

Seit 67 Jahren leben wir im Frieden.
Der europäische Einigungsprozess hat dafür gesorgt, dass aus Erbfeinden Freunde wurden und der Zusammenarbeit Vorrang eingeräumt wird.
Und dennoch: Die Krise der gemeinsamen Währung zeigt, wie fragil das gemeinsame Europa noch immer ist. Wir alle können wahrnehmen, dass die Stimmen, die ein vereinigtes Europa in Frage stellen, zunehmen. Damit wachsen unübersehbar die Gefahren, dass diese friedenschaffende Leistung verspielt werden könnte.

Rechtsextreme Einstellungen nehmen in Deutschland zu. Dies konnte man diese Woche im Schwarzwälder Boten nachlesen. Nach einer repräsentativen Umfrage haben 16 % der Befragten ein rechtsextremes Weltbild.

Wie viele andere auch, erschüttert uns die Tatsache, dass eine Terrorgruppe, die sich nationalsozialistischer Untergrund nennt,
10 Jahre unerkannt rassistisch motivierte Verbrechen begehen konnte.

Uns erschüttert, wenn Jugendliche in ihrem Hass unvermittelt Menschen angreifen und tödlich verletzen.

Seit dem Ende des 2. Weltkriegs haben zahllose Kriege die Welt erneut erschüttert und in Atem gehalten.

Derzeit richtet sich unser Blick nach Syrien.
Der schreckliche Bürgerkrieg bringt täglich unermessliches Leid, Zerstörung und Tod mit sich. Flucht ist oft der einzige Weg zu überleben. Wir blicken mit Sorgen nach Mali, Nigeria und Somalia. Der sich verschärfende Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern bedroht den Nahen Osten und den Frieden in der Welt.

Unsere Sorge gilt besonders den Soldaten und den Menschen in Afghanistan. Der Sinn des Kriegs stellt sich immer mehr in Frage. Durch die Opfer unter der unbeteiligten Zivilbevölkerung werden die fremden Soldaten zunehmend als Besatzer empfunden. Mit jedem getöteten Soldaten kehren Leid und Trauer zu den betroffenen Angehörigen zurück.

Seit Soldaten der Bundeswehr in Konflikt-herde dieser Welt geschickt werden, sei es nach Kambodscha, Somalia, auf den Balkan oder nach Afghanistan, haben deren Familien über 100 gefallene deutsche Soldaten zu beklagen.
Wie auch immer man zu den Einsätzen stehen mag, die Soldaten und ihre Familien verdienen unsere Solidarität.

Martin Luther King hat deshalb recht, als er folgendes sagte, (ich zitieren) „Wenn wir annehmen, dass das Leben lebenswert ist und dass der Mensch ein Recht hat zu leben, dann müssen wir eine Alternative zum Krieg finden.“ (Zitatende)

Der Friede ist fragiler geworden. Ihn zu bewahren, zu beschützen und aktiv für Frieden einzutreten, ist deshalb unsere gemeinsame Aufgabe. Dass uns dies gelingen möge, ist unsere gemeinsame Hoffnung. In der Erinnerung an die vielen Opfer behält der Volkstrauertag seine bleibende Bedeutung. Er ist eine dauerhafte Mahnung, alles zu tun, den Frieden und die Gerechtigkeit in der Welt zu stärken.

Hier, in der Stiftung St. Franziskus liegt es deshalb nahe, sich an den Beginn eines Franz von Assisi zugeschriebenen Gebets zu erinnern:

„Herr, mache mich, (mache uns), zum Werkzeug deines Friedens. Wo Hass herrscht, lass mich, (lass uns), Liebe entfachen.“

Lassen Sie mich zum Schluss das Totengedenken sprechen, wie es für den Volkstrauertag bestimmt ist, das uns verbindet mit den Trauerfeiern an anderen Orten:

Wir denken heute
an die Opfer von Gewalt und Krieg an Kinder, Frauen und Männer aller Völker.

Wir gedenken
der Soldaten, die in den Weltkriegen starben,
der Menschen, die durch Kriegshandlungen oder danach in Gefangenschaft, als Vertriebene und Flüchtlinge ihr Leben verloren.

Wir gedenken derer,
die verfolgt und getötet wurden, weil sie einem anderen Volk angehörten, einer anderen Rasse zugerechnet wurden oder deren Leben wegen einer Krankheit oder Behinderung als lebensunwert bezeichnet wurde.

Wir gedenken derer,
die ums Leben kamen, weil sie Widerstand gegen Gewaltherrschaft geleistet haben,
und derer, die den Tod fanden, weil sie an ihrer Überzeugung oder ihrem Glauben festhielten.

Wir trauern
um die Opfer der Kriege und Bürgerkriege unserer Tage, um die Opfer von Terrorismus und politischer Verfolgung, um die Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten und andere Einsatzkräfte, die im Ausland ihr Leben verloren.

Wir gedenken heute auch derer,
die bei uns durch Hass und Gewalt
gegen Fremde und Schwache
Opfer geworden sind.

Wir trauern
mit allen die Leid tragen, um die Toten.

Aber unser Leben steht im Zeichen der Hoffnung auf Versöhnung unter den Menschen und Völkern, und unsere Verantwortung gilt dem Frieden unter den Menschen zu Hause und in der Welt.

Ich danke Ihnen
für Ihre Aufmerksamkeit.

 
 

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